Während Weblogs in Deutschland gerade beginnen
sich zu etablieren, sind sie in den USA bereits eine feste
Größe in der Medienlandschaft: sie erreichen dort
inzwischen jeden Tag Millionen von Lesern, haben es geschafft,
das bisherige Monopol der Medien aufzubrechen und helfen,
politische Karrieren zu starten oder vorzeitig zu beenden.
Was sind die Gründe für diesen Erfolg? Wie reagieren
traditionelle Medien darauf? Und welche Auswirkungen hat dies
für uns hierzulande?
Wir hören es seit Mitte der 90er Jahre mit schöner
Regelmäßigkeit immer mal wieder: das Internet wird
Politik und Gesellschaft von Grund auf verändern. Bald
wird alles viel transparenter, viel basisdemokratischer. Der
Einzelne erhält mehr Einfluss auf das große Ganze
usw. usf. Aber während Amazon & Co. im Unternehmensbereich
so einiges durcheinander gewirbelt haben, scheinen unsere
demokratischen Systeme deutlich resistenter gegenüber
Einflüssen aus der virtuellen Welt. Wirklich geändert
hat sich bisher jedenfalls nur sehr wenig.
Doch nun unternimmt ein neues Online-Format einen neuen,
vielleicht aussichtsreicheren Anlauf: die Rede ist von Weblogs
oder kurz Blogs!
Was ist das Neue an Weblogs?
Bereits im Sommer hatte Onlinejournalismus.de dem Medium
Weblog ein ganzes Dossier
gewidmet und dort ausführlich beschrieben, was man darunter
versteht und wie es eingesetzt werden kann. Blogs haben vor
allem einen Vorteil: Mit ihnen kann sich zum ersten Mal praktisch
jeder zu extrem niedrigen Kosten sein eigenes kleines, aber
trotzdem globales Medium aufbauen - Leserschaft inklusive!
Innerhalb weniger Minuten ist es so möglich eine professionell
aussehende Website online zu bringen und darüber kontinuierlich
die Dinge zu publizieren, die man der Welt mitteilen möchte.
Größere technische Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
Wer diese erste Hürde genommen hat, steht schnell vor
der Frage, wie er potenzielle Leser auf seine Veröffentlichungen
aufmerksam macht. Doch auch hier hat man mit Weblogs gute
Karten. Denn zum einen landen Weblog-Seiten, aufgrund ihrer
Struktur in den Ergebnislisten von Suchmaschinen wie Google
häufig sehr weit oben. So stößt man heutzutage
bei fast jeder Online-Recherche schnell auf zahlreiche derartiger
Sites. Zum anderen existieren Weblogs nicht allein und isoliert
im Internet, sondern sind mehr oder weniger automatisch Bestandteil
eines eigenen Netzwerkes - der sogenannten Blogosphäre.
Durch einen Mix aus speziellen Webseiten und verschiedenen
Technologien hat sich hier eine Infrastruktur entwickelt,
die auf vielen Ebenen alle Weblogs weltweit miteinander verbindet.
So kann man z.B. sehen, wer in diesem Augenblick etwas Neues
in seinem Weblog "gepostet" hat ( Blogg.de)
oder welche Themen zur Zeit diskutiert werden ( Blogdex.net).
Durch dieses System schaffen es manche Blog-Postings enorme
Reichweiten zu erzielen. Vor allem dann, wenn andere Blogger
so auf einen Artikel aufmerksam werden, hierüber in ihren
eigenen Weblogs berichten und damit einen Schneeballeffekt
auslösen.
Wird der richtige Inhalt zur richtigen Zeit per Weblog veröffentlicht,
kann die Blogosphäre für den einzelnen Blogger schnell
zu einem riesigen Megaphone werden, mit dem er die ganze Welt
erreicht. So haben manche, von Privatpersonen geführte
Politik-Weblogs in den USA, wie zum Beispiel DailyKos oder
Instapundit, inzwischen schon etwa 250.000 Besucher pro Tag
bzw. 8 Millionen pro Monat (Quelle: Focus,
Instapundit
Stats) - deutlich mehr als viele Seiten von kommerziellen
Medien.
Aber selbst wenn nicht Millionen das eigene Blog lesen, was
eher selten passiert, kann man auch mit geringeren Reichweiten
große Wirkungen erzielen. Insbesondere wenn man eine
kleine, aber einflussreiche Gruppe (zum Beispiel Journalisten)
damit zielgenau erreicht - Grundsatz: "Weblogs
influence the Influencers".
Weblogs holen sich ihren ersten Skalp!
Dass dies nicht nur graue Theorie ist, bekam der prominente
US-Senator Trent Lott im Dezember 2002 zu spüren. Damals
hatte er in einer Rede auf der Geburtstagsfeier eines Kollegen
eine eindeutig rassistische Bemerkung gemacht, was seine Zuhörer
im ersten Augenblick erkennbar schockierte. Aber obwohl zahlreiche
Journalisten anwesend waren, berichteten die Medien kaum darüber.
In Zeiten des "24-Hour-News Cycle" wurde das Thema
schnell alt und verschwand von der Agenda. Doch dann erschienen
in zwei einzelnen Weblogs unabhängig voneinander Artikel
zu dem Vorfall. Dies machte wiederum andere Blogger auf das
Ereignis aufmerksam, die daraufhin begannen ebenfalls darüber
zu schreiben. Plötzlich erhielt das Thema neue Aktualität.
Nach einigen Tagen griffen auch große Medien es wieder
auf und weniger als 2 Wochen später, war der öffentliche
Druck so groß, dass Trent Lott sich gezwungen sah, zurückzutreten.
Das Internet hatte seinen ersten Skalp, wie ein Zeitungskommentator
damals schrieb.
Weblogs und die Presse - der Leser schreibt zurück
In diesem Fall war aber nicht allein das Verhalten von Trent
Lott Gegenstand der Weblog-Artikel, sondern vor allem auch
die fehlende Berichterstattung in der Presse. Plötzlich
wurden die Medien selbst von ihren eigenen Konsumenten publizistisch
zum Thema gemacht und damit zu einer Reaktion gezwungen. So
etwas wäre bisher nur schwer möglich gewesen und
zeigt exemplarisch, was Weblogs und die Blogosphäre leisten
können. Natürlich ersetzen sie nicht die traditionelle
Presse. Aber die Medien erhalten damit eine Art Rückkanal,
der ihre Arbeit überwacht und mit dem sie sich auseinandersetzen
müssen. Denn zukünftig dürften so Defizite
in der Berichterstattung immer häufiger und schneller
offen gelegt werden.
Derartige Weblogs, Watchblogs genannt, die sich zur Aufgabe
gemacht haben, systematisch bestimmte Bereiche des öffentlichen
Lebens kritisch zu begleiten, gibt es auch hierzulande. Ein
gutes Beispiel dafür ist das BILDBlog.
Ein Gruppe von Journalisten nutzt hier das Medium Weblog,
um "die kleinen Merkwürdigkeiten und das große
Schlimme" in Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung
aufzudecken. Zum ersten Mal bekommt man so all die Unstimmigkeiten,
welche bisher in der Masse der Berichte untergegangen sind,
Tag für Tag geballt vor Augen geführt. Im Mai 2004
gestartet, erreicht Bildblog.de heute bereits viele Tausende
Leser pro Tag - verglichen mit der Millionen-Auflage der BILD
sicher noch nicht viel, aber immerhin ein Anfang.
Perspektiven
Neben Medien und Politik werden sicher sehr bald auch andere
Gruppen, vor allem Unternehmen, feststellen, dass sich spezialisierte
Watchblogs ihrer annehmen. Wahrscheinlich ist auch, dass zukünftig
verstärkt Insider anonyme Weblogs nutzen, um darüber
internes Wissen, vorbei am Filter Presse, direkt in die Öffentlichkeit
zu bringen. Ist das, was sie zu sagen haben, interessant genug,
wird die Blogosphäre schon für die gewünschte
Reichweite sorgen. Hier wird auch schnell deutlich, wo eines
der zentralen Probleme vieler, vor allem anonymer, Weblogs
liegt: Wenn die Identität eines Bloggers genauso unbekannt
ist, wie seine Motive und wenn er nicht zur Verantwortung
gezogen werden kann, wie beurteilt man dann die Glaubwürdigkeit
seiner Artikel?
Belege von Fakten durch Weblinks zu Originalquellen und Interaktion
mit Blog-Lesern über Kommentarfunktionen können
dieses Problem zwar etwas entschärfen. Trotzdem sollte
man es nicht aus den Augen verlieren. Sind Weblogs nun der
große basisdemokratische Durchbruch auf dem Weg in die
eDemocracy? So etwas wie die zukünftige Stimme der schweigenden
Mehrheit?
Noch ist das schwer zu sagen. Aber sie sind mit Sicherheit
schon heute für viele eine willkommene Abwechslung vom
Einheitsbrei der aktuellen Medienlandschaft, weil sie ein
wenig Glasnost und Perestroika in unsere realexistierenden
Demokratien bringen. Was jedoch am Ende wirklich vom Weblog-Boom
bleibt, liegt an uns selbst und was wir daraus machen...
»
zur Dossier-Startseite «
|