INTERVIEW |
25.10.2004 |
"Menschen
helfen, auf ihre reale Umgebung einzuwirken" |
Von Peter
Bihr |
 |
Würde ein Projekt wie BBC-iCan auch in Deutschland
funktionieren? Könnten ARD oder ZDF in diese Richtung
aktiv werden? Die ARD hat zur Zeit keine derartigen Pläne.
Schade, dabei würden die Briten doch sogar ihr Wissen
teilen... Der Brite Martin Vogel ist der verantwortliche Projektleiter
der BBC für das iCan Projekt. Im Interview mit Peter
Bihr erläutert er, wie eine deutsche Adaption des BBC-Projekts
iCan funktionieren könnte.
Was ist das Besondere an iCan und welche Aufgabe erfüllt
die Webseite?
BBC iCan ist eine - durch unsere Berichterstattung unterstützte
- Webseite, die darauf abzielt, den Bürgern die ersten
Schritte zu erleichtern, falls sie sich für Themen einsetzen
wollen, die sie betreffen oder interessieren.
Die BBC iCan Initiative ist aus drei Gründen einmalig:
- Sie ist die einzige mir bekannte Initiative, die umfassende
Hilfsmittel zur Verfügung stellt, um Bürgerbeteiligung
effektiv zu unterstützen: Sie verschafft die notwendigen
Informationen, vermittelt Kontakte zu Gleichgesinnten und
stellt alle erforderlichen Online-Tools zur Verfügung,
die man benötigt, um eine Kampagne zu starten.
- iCan ist unparteiisch. Viele e-democracy Projekte werden
ins Leben gerufen, um eine bestimmte Idee oder gewisse Werte
zu fördern. Dies führt dazu, dass die Unterstützer
schlussendlich vor allem mit denen diskutieren, die ihre
Weltsicht ohnehin teilen. iCan dagegen ist für alle
Bürger zugänglich. So werden die Nutzer auch mit
gegensätzlichen Ansichten konfrontiert, was ja viel
eher dem richtigen Leben entspricht.
- "Unterstützt durch Berichterstattung" heißt
zum einen, dass wir einem größtmöglichen
Publikum die Möglichkeit nahe bringen können,
das Internets als Mittel zur Bürgerbeteiligung zu nutzen.
Auf der anderen Seite bieten wir unseren Zuschauern auch
ein Ventil, falls sie sich zu Thematiken äußern
oder engagieren wollen, die sie in unserem Programm gesehen
haben. In der Vergangenheit wurden unsere Zuschauer manchmal
mit einem Gefühl von Hilflosigkeit oder Frustration
zurückgelassen, wenn sie gewisse Themen in den Nachrichten
sahen. Jetzt können wir sie an iCan verweisen, um ein
Gefühl dafür zu bekommen, was sie unternehmen
könnten.
iCan soll keine hermetische und von der wirklichen Welt abgeschottete
Web-Community sein. Vielmehr soll es den Menschen helfen,
auf ihre reale Umgebung einzuwirken. So kann man iCan z.B.
nach Thematik oder nach Region durchsuchen und so andere finden,
die sich für das gleiche Thema interessieren.
Wir ermutigen auch die Benutzer ihre Erfahrungen im Hinblick
auf bisheriges Engagement mit den anderen zu teilen, so dass
diese davon lernen können. Ein gutes Beispiel dafür
findet sich hier.
Gleichzeitig versuchen wir, einen gewissen zivilisierten
Verhaltenskodex zu pflegen, damit die Nutzer konstruktiv mit
anderen Meinungen umgehen. So ermutigen wir beispielsweise
unsere Nutzer, sich unter ihrem richtigen Namen zu beteiligen.
Wir haben festgestellt, dass die Beiträge der sich beteiligenden
Nutzer dann ein höheres Niveau haben, da sie sich persönlich
mehr in der Verantwortung fühlen, als wenn sie ein Pseudonym
benutzen.
War iCan bisher Ihrer Meinung nach erfolgreich?
Wir haben das Projekt zunächst in fünf Regionen
Großbritanniens getestet und waren mit den Ergebnissen
sehr zufrieden. Obwohl die Web-Seite überall abrufbar
ist, lag der Schwerpunkt der Aktivität eindeutig in den
fünf Regionen, in denen wir auch Senderunterstützung
angeboten haben. Die Leute scheinen iCan genau dafür
einzusetzen, wofür es auch entwickelt wurde: Gerade für
Bürgerbelange. Und sie gehen sehr gewissenhaft mit dem
Medium um.
Es laufen zahlreiche Kampagnen, von denen etwa eine Hälfte
lokale und die andere Hälfe nationale/internationale
Zielsetzungen verfolgt. Im Moment sind wir dabei, iCan auf
ganz Großbritannien auszudehnen.
Dennoch hatten wir auch kleine Probleme mit der ersten Version.
Daher arbeiten wir ebenfalls an einem Update, um die Oberfläche
benutzerfreundlicher zu gestalten.
Wer hatte die Idee, eine solche Plattform für bürgerschaftliches
Engagement ins Leben zu rufen?
Sie entstand im Rahmen eines kreativen Brainstorming innerhalb
der BBC, das auf die Evaluation unserer Politikberichterstattung
folgte. Wir stellten fest, dass ein großer Teil der
Bevölkerung mit dem politischen Mainstream, d.h. der
Westminster-Politik, und der Berichterstattung darüber
unzufrieden war.
Dennoch waren viele dieser Unzufriedenen überaus interessiert
an Themen, die ihr eigenes Leben betrafen. Gleichzeitig wollten
sie auch mehr Einfluss auf diese Themen haben. Viele gaben
aber an, sie schreckten vor einem eigenen Engagement zurück.
Hauptsächlich weil sie nicht wüssten, wo sie anfangen
sollten und davon ausgingen, dass sie alleine ohnehin nichts
ausrichten könnten. Wir haben iCan ins Leben gerufen,
um diese beiden Hindernisse zu beseitigen.
Wie viele Kampagnen gab es? Welche war die erfolgreichste?
Die Kampagnen sind nur ein Teil dessen, was iCan ausmacht.
Aber wir hatten so ungefähr 600. Der Erfolg ist jedoch
schwer messbar. Ich könnte jetzt kein Projekt nennen,
welches ausschließlich wegen iCan in der Öffentlichkeit
wahrgenommen wurde.
Aber durch verschiedene Initiativen über iCan wurden
gewisse Themen (z.B. Bodenschwellen zur Verkehrsberuhigung,
der Einsatz von Kameras bei der Geschwindigkeitskontrolle,
die Diskussion um die neuen Identitätskarten) ins nationale
öffentliche Bewusstsein gerückt. Was die Kameras
angeht, so hat der starke Widerstand in der Bevölkerung
die Regierung sogar gezwungen, ihren Ansatz noch einmal zu
überdenken. Es gab auch viele kleine Erfolge (wofür
iCan auch hauptsächlich entwickelt wurde). So rettete
z.B. eine Kampagne eine Gemeindezeitung vor der Schließung.
Gibt es Regionen, die entschieden aktiver sind als andere?
Lässt sich ein Unterschied zwischen Stadt und Land ausmachen?
Die fünf Regionen, mit denen wir begonnen haben, waren
Wales, Bristol, Sheffield, Cambridge and Leicester. Wie bereits
gesagt, waren diese aktiver als der Rest des Landes –
was zeigt, dass der Einfluss der Berichterstattung auf die
Entscheidung, sich über iCan zu engagieren, enorm ist.
Abgesehen von diesen von BBC unterstützten Regionen war
die Nutzung in den Städten am deutlichsten. London ist
bei weitem die aktivste Gegend, was sowohl ihrer Größe
als auch der hohen Internet-Durchdringung geschuldet ist.
Andere aktive Gegenden waren Manchester, Glasgow und Edinburgh.
Gab es auch Fälle von Missbrauch?
Nein, nichts nennenswertes. Wir haben insgesamt recht liberale
Regeln, und an die halten sich die Nutzer im Großen
und Ganzen auch.
Die angelsächsische Politiktradition ist von vielen
Besonderheiten geprägt. Glauben Sie, dass iCan als Modell
auf andere europäische oder sogar asiatische Staaten
übertragbar ist?
Das kann ich nicht wirklich abschätzen. Es ist natürlich
so, dass iCan speziell für die Bedingungen in Großbritannien
entwickelt wurde. Wir haben ausführliche ethnographische
Nachforschungen angestellt, um zu verstehen, welche Möglichkeiten
und Hindernisse sich darstellen, wenn Bürger versuchen,
in unserem Land etwas zu ändern.
Dies hat viel mit dem in der Bevölkerung stark ausgeprägten
Verständnis zu tun, dass politische Entscheidungsträger
Rechenschaft ablegen müssen. Auf der anderen Seite akzeptieren
auch die Entscheidungsträger, dass sie die Verantwortung
für ihr Handeln übernehmen müssen. Ich weiß
nicht, inwieweit unser Modell von iCan in andere Staaten übertragen
werden kann.
Die Mindestvoraussetzung ist jedenfalls eine gesunde Demokratie.
Aber ich denke, dass es möglich ist, mit einer ähnlichen
Herangehensweise und dem gleichen Entwicklungsprozess etwas
zu entwerfen, das in die jeweilige politische Tradition passt.
Das Schlüsselelement bei uns, das in anderen Ländern
womöglich schwer zu nachzubilden ist, ist eine öffentliche
Rundfunkanstalt, die es als ihre Pflicht betrachtet, das System
unparteiisch zu betreiben und es entsprechend zu fördern.
Wie viel Arbeit hat die BBC in das Projekt gesteckt
und wie viel hat iCan letztlich gekostet?
Es war ein ziemlicher Aufwand zunächst einmal herauszufinden,
was zu tun ist und vor allem welches für die BBC der
richtige Weg dahin war. Wir hatten keine Erfahrungen mit solchen
Initiativen und unsere Hauptsorge bei der Organisation von
iCan war, die Neutralität von BBC nicht zu gefährden.
Für uns ist die jetzige Form von iCan jedenfalls noch
nicht das Ende der Fahnenstange. Es hatte immer den Charakter
eines Experimentes, das sich weiter entwickeln muss, während
wir mehr darüber erfahren, wie die Bürger das System
nutzen.
Unser Ansatz war von Beginn an, klein anzufangen und iCan
dann Stück für Stück zu erweitern. Dabei können
wir das Wissen einfließen lassen, das wir in den verschiedenen
Phasen des ganzen Prozesses gelernt haben. Insgesamt haben
wir etwa ein Jahr an der Webseite gebastelt, bevor sie gelauncht
wurde. Über die Kosten darf ich Ihnen aber nichts sagen.
Sind die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender
ARD oder ZDF bereits an Sie herangetreten, um sich Tipps für
ein vergleichbares Projekt zu holen? Würden Sie beim
Aufbau eines deutschen iCan mithelfen wollen?
Bisher ist noch kein deutscher Sender an uns heran getreten.
Aber wir sind jederzeit bereit, unsere Erfahrungen weiterzugeben.
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