Die Kostenfrage wird zwar immer wieder aufgeworfen, aber faktisch kann sie bislang
niemand seriös beantworten. Drei Versuche...
Die einfache Antwort
Befürworter der Barrierefreiheit argumentieren häufig mit Beispielen aus dem meat space, gern aus der Architektur. Da die legal-definierte Barrierefreiheit Diskriminierung verbietet, verstoßen spezielle Lösungen für Menschen mit Behinderungen gegen Geist und Buchstaben des Gesetzes. Die bisweilen anzutreffende "Textversion" entspräche damit dem Behinderteneingang an der Gebäuderückseite – und ist demnach nicht BITV-konform.
Ein schwer zugängliches Gebäude (lies Website) ist nur mit erheblichem finanziellen Aufwand von Barrieren zu befreien. Bei einfacher Umrüstung, ausreichendem Platz für eine Rampe, wird das Ganze natürlich günstiger. Und wer die Frontseite seiner Villa nicht verunzieren will oder wenn diese unter Denkmalschutz steht, der macht einfach gar nichts. (Beispiele aus dem Cyberspace kann sich hier jeder selbst denken.) Über die Rampe freut sich indes nicht nur der Rollstuhlfahrer, sondern auch der Vater mit Kinderwagen, der schwerbeladene Paketdienst, die Radler- oder Inline-Skaterin, der Mann mit dem Rollkoffer etc. Mit anderen Worten: Einfach für alle – aber das führt von der Kosten- zur Nutzendebatte.
Die unzutreffende Antwort
Nach zunächst erforderlichen Einmal-Aufwendungen kostet Barrierefreiheit im laufenden Betrieb kaum noch etwas. Mit modernen Redaktionssystemen (CMS) können Pflichtfelder für Alternativtexte etc. vor-programmiert werden.
So genannte Web Compliance Manager prüfen die Validität der Seiten. Und in eine verbesserte Gebrauchstauglichkeit müsse man ohnehin investieren. Der Return on Investment (ROI) stellt sich im übrigen fix ein, weil die Seiten Dank eines schlankeren Codes schneller laden, Traffic-Kosten reduzieren oder Einarbeitung, Pflege und Re-Design einer Seite im Handumdrehen zu erledigen sind. Wer die Kernforderungen der Barrierefreiheit erfüllt, nämlich valides (X)HTML und CSS verwendet, zudem Präsentation und Inhalte sauber trennt und auf Layout-Tabellen verzichtet, hat in der Tat beachtliche Einsparpotentiale.
Doch damit sind wir wieder beim Nutzen – und außerdem sind dies alles Aspekte der Standardkonformität, also eines ohnehin selbstverständlichen, zukunftorientierten und plattform-unabhängigen Webdesigns. Anders gesagt: Standardkonformität ist nur die unerlässliche, aber nicht hinreichende Vorbedingungen für Barrierefreiheit.
Die ehrliche Antwort
Barrierefreiheit ist zunächst ein Sensibilisierungs- und Bewusstseinsprozess. Die Umsetzung barriere-ärmerer Seiten ist vor allem ein Handwerk, was vor allem im Bereich CSS-Technik mit einer recht steilen Lernkurve verbunden ist.
Vor allem aber ist Barrierefreiheit ein laufender Anpassungs- und Qualitätssicherungsprozess – und das in einem überaus dynamischen und anspruchsvollen technischen Umfeld. Damit ist die Antwort noch längst nicht erschöpft, aber vielleicht der geneigte Leser.
Weil es aber so gern verschwiegen wird, eine kurze Aufzählung möglicher einmaliger und laufender Kosten bei der Umsetzung von Barrierefreiheit:
- Überzeugung von Entscheidern im Unternehmen, interne Abstimmung
- Sensibilisierung, Schulung und Motivation von Mitarbeitern (Gestalter, Redakteure, Programmierer)
- Briefings und Vereinbarungen (mit Dienstleistern)
- Mehr Aufwand bei der erstmaligen Erstellung einer barrierefreien Website, Know-How-Transfer etc.
Anpassung von Redaktionssystemen, Investitionen in Autorenprogramme, Redaktionssysteme und eventuelle Tests durch externe Anbieter (bereits in der Entwicklungsphase)
- zusätzliche Texte (z.B. long description von Bildern) oder Aufbereitung von Inhalten in einfacher Sprache möglicherweise Informationssuche und Rechtsberatungskosten
(eventuell) bei Verwendung von Style Switchern: Zusätzliche Designs und Stylesheets sind zu erstellen
- (eventuell) zusätzliche Alternativ-Versionen für Animationen, Videos (z.B. Untertitel)
- Migration bestehender Inhalte und Funktionalitäten; bei gewachsenen Seiten auch der sogenannte Legacy Content, also "historische Inhalte", die zu einem früheren Zeitpunkt nach keinem erkennbaren Standard erstellt wurden.
- Funktionalitäten müssen eingehend überprüft und eventuell abgewandelt werden, damit sie z.B. auch ohne Einsatz von JavaScript funktionieren. Insbesondere bei vermeintlichen Standard-Funktionalitäten fehlen noch oft Best Practice-Beispiele (Komplexe Validierung von Formularen ohne JavaScript, Warenkorb ohne Cookie und JavaScript etc.)
- Zusätzliche Schulungen von Redaktion und Webmastern, damit die Website barrierearm bleibt.
weiter im nächsten
Teil »
Welche konkreten Vorteile
bietet Barrierefreiheit?
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